German Transcription: January 8, 1940

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 Brünn, 8.1.1940  

Meine teure Tochter! Nun bin ich wieder einmal restlos glücklich; als ich mittags in mein prachtvolles Heim kam, überreichte mir meine edle und brave, aufopferungsfähige und selbstlose Gemahlin, deine auf dich schon heute stolze Mama, deinen Briefe. — Soweit eben ein Mensch hier überglücklich sein kann, bin ich es; ich und meine fromme Frau danken dem Ewigen, daß unser ideales „Hausmussinko“ so gesund ist und trotz allem Überstandenem solch eine ungebrochene geistige Frische zeigt. Ich verstehe deinen Idealismus nur all zu gut; habe ja auch ich seinerzeit dem bequemen und schönen Leben an der medizinischen Fakultät „Lebewohl“ gesagt und bin aus Liebe zu meinem Vaterlande hinausgezogen in den grausamen, männermordenden Krieg, gegen das ehemalige zaristische Pogrom‐Rußland für Deutschlands Ruhm und Ehre. ‐ ‐ ‐

Bis heute bin ich meinen Idealen treu geblieben: Ich fühle mich als echten Sohn unseres heute noch so unglücklichen, jüdischen Volkes, beobachte und schätze die Gebräuche und Sitten unserer Religion und leuchtet mir stets das Bibelwort voran: „Tue deinen Feinden Gutes!“ Denn bei Freunden ist das doch selbstverständlich. Auch bin ich Bethar1 durch und durch, das heißt ein disziplinierter und mit sich am strengsten verfahrender Kämpfer für unsere gemeinsame, heilige Sache: „für die Errichtung eines jüdischen Nationalheims in Erez.“

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II.

Nun zum Privaten: du hast nun eine neue Mutti, auf die du, mein geliebtes Kind, sehr stolz sein kannst. Eine Jüdin, gleich fromm wie national, eine edle Seele, welche tief unglücklich ist, wenn sie nicht Gutes üben kann. —Deine dich und deine beiden schönen Schwestern schon heute innig und aufrichtig liebende Mama ist auch eine Musterhausfrau; du weißt doch, meine Gisuschka, daß ich derartiges nicht so bald von jemand sage. Ich werde von meiner ehrlichen und aufrichtigen Frau gerade so innig und aufopferungsvoll geliebt wie einst von unserer in Gott ruhenden Mutti. . . .

Auch liebt meine Fritzinko schon heute unsere bedauernswerten Lieben und den Engel unserer Familie, deine Namensschwester, so als ob wir schon weiß Gott wie lange uns kenne würden. Gott gebe es, daß du dich von allem bald überzeugen könntest. Auch zu deinen herrliche Schwestern ist meine goldige Frau eine treue und fürsorgliche Freundin und Beraterin; denn nicht immer liegt Weisheit und Güte im Verwöhnen. Der feschen Bertuschka hat Mama einen sehr guten Posten verschafft, wo sie blüht und gedeiht und gar keine anderen Sorgen hat als Toilettenfragen 2. Aber unsere Rokika kleidet sich auch tip‐top; du würdest schon wieder ยด„Tulli“ 3 sagen. Lußinka, unsere „kasbalpa“, unser „medeojesche noschka“, führt die Wirtschaft bei meinen edlen und braven, leider aber sehr kränklichen Schwiegerelter. Infolge der regelmäßigen Beschäftigung hat sie sich so herausgemaust, ist so stark und gesund geworden, daß du so eine Metamorphose nicht für möglich gehalten hättest: aus einem verwöhnten, blutarmen, kränklichen und schwachen Kinde erblühe eine kerngesunde, frische, starke und holde Jungfrau. —

Du siehst also, daß unsere Mutti im Himmel ihre schützende Hand über uns alle hält. Auch du, meine „Rose von Jericho“, gedeihst auf heiligem Boden zum Prachtmenschen heran. Botte deine wertvolle Gesundheit dir zu erhalten und uns allen keine überflüssigen Sorgen zu machen. Bewahre dir deine Reinheit und Jugend und führe ganz in meinem und deiner [vornehme ?] Mama Sinne ein harmonisches Leben. Lasse dir mit dem Heiraten Zeit. Warte damit, bis wir kommen. Bei unserer Hochzeit am 22.10.1939 bist du, meine tapfere Makkabäerin, an meiner Seite gestanden.. . —

Ich freue mich schon heute auf deinen nächsten Brief! Ewig
2020 dein treuer Vati4 Hugo.

 

Transcription by Manuel Swatek

Footnotes

1. Means member of the activist, Zionist Jewish association “Bethar

2. „Clothing affairs“; toilette: clothes

3. Colloquial for: idiot

4. Diminutive for father