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Wien, II Kleine Sperlgasse Meine teuerl Giserle 1, Mezzanin Th. 22
Für heute hätte ich Dir ohnedies einen zweiten Brief geschrieben und siehe da, Vor- mittag kam ein rek.1 Brief des l. Vaters aus Brünn wo Dein Brief von Jom Kippur beigelegen ist. Mit einem trockenen und einem nassen Auge lasen wir Deinen Brief und muß ich Dir mitteilen, daß Paul und Tante Anny Dir schon vor langer Zeit ein Postpaket mit 3 kg schickten wo ein Kleid etc. eingepackt waren. Ich staune daß Du Nichts bekommen hast. Nun ist auch Frau Goldstein mit der ganzen Familie nach Tel Aviv abgereist und habe ich Dir einen Wintermantel, eine warme Trainings hose und einen warmen Pullover mitgeschickt. Sie dürfte dieser Tage dort ankommen und wird Dir gleich schreiben, damit Du alles abholen kannst. Sie wird Dir alles erzahlen und besonders viel von Trudi die sehr sehr süß ist und schon steht. Hoffent lich wird sie bald gut gehen können
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Auch Michaela geht schon sehr fesch und hat Onkel Karl eine Afvidavits nach Amerika doch dürfte es noch bis Ende d. Jahres dauern ehe er nachfahren kann. Auch Onkel Siegfried möchte weg, doch ist noch keine Aussicht. Tante Anna hat nach Australien und nach England Aussichten als Photograph. Ich habe Dir schon einige male ausführlich geschrieben, doch dürftest Du gar keinen Brief bekommen haben. – Leider, leider ! Aber jetzt werde Dir regelmäßig jede Woche schreiben u Retourmarke beilegen, so daß unser brieflicher Verkehr in geregelte Bahnen kommen wird. Tante Anna die die einzige einen Paß besitzt wird Dir morgen 10 Mark senden Und jeden Monat wird sie und Onkel Miron Dir Geld senden, da mit Du Dir Verschiedenes kaufen kannst.
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Soeben ist Großvater mit Großmutter in den Tempel gegangen da heute Simchas Thora ist. – Onkel Max ist soeben gekommen u. liest Deinen Brief u. auch Papas Brief. Bertuschka hat schon einen anderen Posten viel besser als der früher nur weniger Trinkgelder. Lussinka hat Papa gut unter gebracht bei einer sehr feinen alten Fami lie da sie abends auch musicieren kann Mir ist sehr bange nach Euch Dreien und will ich hoffen daß wir uns alle wieder einmal in Freuden wiedersehen. Wir sind erst jetzt nach 3 Wochen so ziemlich in Ordnung doch fehlen noch die Vorhänge etc. Sehr oft sind alle Geschwister mit den Frauen bei uns am abend und haben wir ein großes Speisezimmer mit 3 Fenstern. Euere Bilder von Russland & von Onkel Miron hängen gleich beim Spiegel und blicke ich Euch täglich hundert male an. Kannst Du nicht ein kleines Bilderl von Dir von Palastina einsenden?
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Familie Tiefenbaum wohnt mit uns in einer Wohnung; doch ist ein extra Zugang und haben sie auch 3 Zimmer u.ein Kabinett, das sie als Küche ver wenden. Auch ein Badezimmer ist da doch ist es bis jetzt noch nicht benützt worden. – Die lieben Großeltern haben sich schon hier hineingefunden und leben eigentlich viel schöner als in Holl.2
Am 22/IX mußten wir alle von Holl weg & war die Ubersiedlung schrecklich da uns sehr viel abhanden gekommen ist. Ich und Onkel Poldi sind seit März 3 x schon übersiedelt und das ist keine Kleinigkeit. Onkel Poldi hat schon lange kein Geschäft u kein Haus mehr und sind wir jetzt auch arme Emigranten! Aber wenn nur alles in d. Familie gesund bleibt danke ich Gott dafür. Viele viele Küsse Tante Gisa
Viele 1000 Küsse und ein herzliches Tel Hai an alle Chaverim Dein treuer Onkel Max
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Transcribed by Gerhard Koerth of Sütterlinstube of Hamburg, Germany
Footnotes
1. “Rek.” ist die Abkürzung für “rekommandierter.”
2. “Holl” steht hier, und im nächsten Satz für “Hollabrunn.”
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