German Transcription: June 12, 1939

 
                                                                                                    (View English Translation)

(View English Translation)


(View English Translation)

(View English Translation)

Meine innigstgeliebte Tochter!     Brünn, den 12ten VI 1939

Viel [sic] Dank für deinen so lang erwarteten Brief und für die, wenn auch zu miniatürhaften Bilderl. Aber du weißt doch, was für Freude du mir und deiner treuen Schwesterln sowie der ganzen Familie bereitest mit einem jeden, wenn auch noch so kleinsten Lebenszeichen von dir: Bist du doch mein verheißungsvolle Wirklichkeit gewordener, erfüllter jüdischer Wunschtraum. —

Trotz allem bin ich deinetwegen doch besorgt und begreife auch nicht, weshalb du eine andere Adresse wieder angibst. Daß die Lage bei euch eine ernste ist, das ist mir genügsam bekannt; hoffentlich gelingt alles so, wie es sich die wahrhaften und treuen Zionisten vorstellen. Aber auch hier, sowie auf der ganzen Welt ist die Lage sehr ernst und für uns Juden eine tragische. . . Deshalb kommt in diesen so bedrängten Zeiten eurer wahrhaft heldenhaften Aufbauarbeit eine erhöhte Bedeutung zu. Und die ganze Welt weiß es, daß Ihr, Betharims, mit eurem zähen und riesenstarken, eisernen und unbeugsamen Aufbauwillen den richtigen jüdischen Weg gehet. Ehrlich und heilig ist


[nächste Seite]


2./
euer Beginnen, denn ihr wollt unser so unglückliches und tief gedemütigtes Volk erlösen und ihm ein schönes teures Heimatland erkämpfen, wo unsere Brüder und Schwestern hoch erhobenen Hauptes und mit stolzer Brust einherwandeln werden können, wo wir alle einmal als freie Menschen, losgelöst von unserem Volke nur schädlichen Schlacken-Theologieen [sic], den heiligen Gebräuchen unserer Väter und Urahnen, glücklich und harmonisch werden atmen können. —

Durch Nacht zum Licht – durch Kampf zum Sieg! Ihr, glücklich-Unglückliche [sic], wißt wenigstens, wofür ihr leidet; wir hier sind nur unfreiwillige Märtyrer. Nun genug von diesen rätselhaften Worten und zur Wirklichkeit. Deine dich treu liebende [sic] Schwestern haben auch jedesmal eine große Freude über deine Zeilen. Wir können so nicht begreifen, daß du ohne Geld bist. Ja, wird dir deine Arbeitsleistung gar nicht vergütet? Erhältst du auch immer die zwei Scheine, welche ich jedem Briefe beilege? Auch wird dir Lußinka, unsere Schönheit,


[nächste Seite]


3./
jede 14 Tage [Schetine....Scheine??] einsenden. Lußinka sieht prachtvoll aus, arbeitet fleißig und ist auch recht sparsam. Auch ist sie klug, diplomatisch und sehr geduldig. Sie ist auch bei Familie Gansl sehr beliebt, was sich auch in verschiedenen Leckerbissen und besonderer Behandlung auswirkt. Besonders nimmt sich ihrer die älteste Tochter, eine gewisse Frau Fränkel, an und ist das vielleicht ein Glück für Lußinka. Also es geht ihr dort ausgezeichnet und gäbe Gott, daß du es einen Tag dort so hättest. Auch ich besuche sie fast täglich, bringe ab und zu Naschwerk. Allerdings gibt der Besuch auch der Frau Fränkel, welche sowie ihre beide anderen Schwestern ihre greise und ehrwürdigen Eltern täglich besuchen mit Männern und Söhnen, zwei Prachtjungens, von denen der 14 Jährige ein sehr talentierter Musiker ist. Nebenbei ist er auch sehr hübsch und artig, so daß deiner Schwester asiatisches Lächeln öfters mit Wohlgefallen auf dessen heiter-ernstem Gesichte ruht. Was kein Wunder, denn er musiziert gottvoll. Wo ist England. . . . . . . ??

Also ist Treue doch ein leerer Wahn? Hat Lußinka da nicht mit dir ein wenig Ähnlichkeit? Aus dem Auge, aus dem Sinn? . . . .

[nächste Seite]

4./
Da bin ich ganz anders. Ich halte so fest und zähe am geliebten Objekte, bis es mir nicht durch eine Schicksalsfügung entrissen wird oder daß es mir die Geliebte unmöglich macht, in ihrer Nähe zu weilen. . . . So geht es mir auch seit einigen Wochen, seitdem ich mit Frau Spitz die Beziehungen abbrechen mußte. Es tut mir unendlich leid, aber bevor ich meine Ehre und Selbstachtung ausgebe, lieber verzichte ich auf alle möglichen Vorteile. Es ist dies eine Tragödie der Verwirrungen wie sie oft das traurig-schwere Leben schreibt. Zum Glück habe ich wieder eine vornehme, edelgesinnte und hochherzige Frauenseele gefunden, bei welcher ich dieses Verständnis für mein Wesen, ungekünstelt seelische Anteilnahme an meinem Schicksale und mein[er] Zukunft nimmt gefunden habe und schon heute zu meinen beiden, hier lebenden Goldkatzerln besser ist als eine eigene Mutter. . . . Auch für dich, mein goldigstes Kind, zeigt sie großes Interesse. Kannste dir also vorstellen, wie gut es mir geht und wie glücklich ich trotz allem bin. Auch der Bertuschka geht es recht gut; Frau Fränkel, welche in den vornehmsten Kreisen verkehrt, hat ihr schon recht feine Kunden empfohlen. Auch ist Bertha sehr geschickt, fein und vornehm und charakterstolz. —

[side of p. 4] Bitte schreibe nach Wien, öfters, denn man sendet nicht jeden deiner Briefe ein.

[side of p. 2] Deine Nachrichten sind hochinteressant und habe ich sie sofort dem Leo Pollak gezeigt, (dem Betharistenführer) —

(View English Translation)

 

Transcribed by Brian Middleton from old German (Sütterlin) handwriting

 

Return to English Translation