German Transcription: August 12, 1938

 

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Mein innigst geliebtes Kind! Brünn, den 12

Heute Freitag abends1 gehe ich mit Bertuschka in den
Tempel. Der Gottesdienst hier ist ein künstlerisches
Erlebnis. Bertuschka, die mich seit letzter Zeit sehr
oft mit ihrem „Sozialismus“ aufregt, sowie auch
mit ihrer Lebensführung, hat kein Verständnis
dafür – Ich aber erklärte ihr, daß es die Hauptsache
sei, wenn man sein Zusammengehörigkeitsgefühl
zeigt und sich so äußerlich wenigstens durch
Tempelbesuch zur Nation bekennt – Und ich werde
auch nicht locker lassen und auf keinen Fall
zugeben, daß sich Berta verwirft, wenn sie
die spelunkenartigen Massenqua[r]tiere der poli-
tischen Emigranten hier öfters besucht. E Abgesehen [davon,]
daß es sich nicht paßt für ein anständiges, junges
Mädchen, hat es auch gar keinen Sinn, und ein
Unglück ist nur zu bald geschehen – Da bist
Du schon ein anderer Charakter und ich

[linker Rand, Seite 1]
Die Hand der l. Bertuschka ist schon fast gesund und schreibt sie Dir nächste Woche was3 Paps Hg.

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bin auch überzeugt, daß Du es genügend schätzen
wirst, wenn „Dein Pauli“ so treu und kameradschaftlich
an Dir hängt. Ich sende Dir alle Briefe aus Hollabr[unn]
und Wien ein, damit Du Dir ein Bild von „Gangstria2[“]
(so heißt nämlich jetzt „Germania[“]) machen kannst.
Ich bin auch tiefergriffen von den furchtbaren Aufre-
gungen, welche diese braven und edlen Menschen
mitmachen müssen. Ich habe den Eltern geschrieben, daß
sie herkommen sollen, ich werde für sie arbeiten
und sei es die schwerste physische Arbeit. Sonst
bin ich gesund und geht es mir recht gut. Hoffentlich
muß ich mich Deinetwegen nicht übermäßig sorgen
und wenn Du nächstens schreibst, so genügt [es,]
wenn Du nach Hollabrunn schreibst oder
mir hie[r]her, da ich Deine Briefe immer meinen
Lieben heimsenden werde oder sie mir. –
Nächste Woche erhäl[t]st Du einen ausführlichen
Bericht von Deinem ewig treuen Papsi Hugo

[linker Rand, Seite 2]
Bertha läßt Dich vielmals grüßen und schreibt sie Dir nächstens

 

Gisela's Sütterlin handwriting was transcribed by Barbara Sommerschuh of Sütterlinstube, e.V., (the not-for-profit office dedicated to Sütterlin handwriting, Hamburg, Germany); Gisela's shorthand was transcribed by Edelgard Dankerl of Stenographen-Zentralverein Gabelsberger e. V. München (Central Association of the not-for-profit organization for Gabelsberger Stenography, Munich, Germany).

Footnotes

1. Freitag den 12 gab es im Jahr 1938 nur im Monat August – vgl. https://www.schulferien.org/kalender/1938/kalender_1938.html

2. abgeleitet von Gangster

3. etwas