November 1939 - January 1940 (?)

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Meine innigstgeliebte Marianne!

Wen sich diese Zellulose in eine dicke Fleischwand
verwandeln könnte und diese Tinte in hellflüssiges Herzblut,
dann würdest du, teures Kind, vielleicht hören, wie mein
Herz dir entgegenschlägt, wie viel es dir zu sagen hat, wie
ergriffen und erschüttert es war, als endlich nach langer,
langer Zeit ein echtes Lebenszeichen von dir kam.
Ebenso erging es meiner edlen und uns allen so treu
ergebenen Frau, die nicht genug oft deine rührenden
Herzensergüsse bewundern konnte. Auch deine beiden süßen Katzerln1
sind überglücklich, endlich einmal von dir zu hören.
Beide deine braven und fleißigen Schwestern verzehren sich
ja auch in Sehnsucht nach dir und wären sie für ihr Leben
gerne mit dir zusammen, was bald der liebe Gott geben möge.
Uns hier geht es bis jetzt hier recht gut und sind auch alle gesund.
Meine äußerst tüchtige Frau zaubert mir den Himmel
auf Erden, das tut ja nichts zur Sache, wenn auch ab
und zu derselbe ein wenig getrübt, denn selbst der
Herrgott sagt zu Mephistofeles: „Von allen Geistern, die
verneinen, ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.“2
Bertuschka ist ein sehr fesches, gesundes und kluges
Mädchen und verdient recht schön. Auch ist sie sehr geschickt
und wird bei dir schön frisieren. Lußinka ist ein edles

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[Seite II.]

[…..] Kind und der ausgesprochene
Liebling der ganzen Familie. Auch sie ist zu einem
stattlichen Mädchen erblüht. Mit den teuren Eltern und
seltensten Schwester Poldi bin ichin Korrespondenz;
über Karl und Anna wundere ich mich sehr, daß sie so wenig
die schreiben. Bitte, mein Goldkäferl3, bald wieder um ein
Lebenszeichen mit noch einem „größeren Herzen“, denn
dein “Papsi” hat ein großes Herz, damit darinnen seine
drei Bienen (Wilde Hummel?) und alle die vielen anderen
schön und bequem Platz haben.

Recht viele herzliche
Küsse auch von mir.
Bertha konnte nicht dran
schreiben, weil sie in
Prag ist; sie lässt sich
dort einschreiben und wird
trachten, Dich bald zu besuchen.
      Tante Mutti Gisa.

Unendliche Kusse, dein ewig treuer

Kamerad und Vater

Hugo

Allerliebtes Marianerl, war dies eine Freude, als wir
nach langen, langen Wochen endlich ein Lebenszeichen
von Dir erhielten! Gott sei dank, dass Du gesund bist, was
ich Dir auch von uns berichten kann. Papale ist auch Gott lob
gesund, sieht blendend aus und lasse ihm nicht abgehen.
Annerl ist ein sehr braves Mäderl und der „Liebling“ meiner
theuren Eltern und Gesch‐wister und haben eine große Freude an
ihr. Berta hat die feste Absicht, in absehbarer Zeit zu unserer lieben
Giserl zu fahren und trifft schon die nötigen Vorbereitungen.

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[Seite III.]

Beiliegend senden wir Dir unser Foto, welches Du mit
Nachsicht beurteilen sollst, da es nicht besonders ausgefallen
ist. Schreibe uns wieder bald und ausführlich, sei
vorsichtig, bleibe gesund und fröhlich,

und sei innigst geküsst

von Deiner Fritzi Mutti.

Mein liebes Schwesterl!

Kannst Dir unsere Freude vorstellen, als endlich ein
Brief von Dir kam. Wir haben ge‐weint und gelacht
vor Freude. Ich bin ja so furchtbar schrecklich froh,
daß es Dir gut geht und was die Hauptsache ist,
daß Du zufrieden bist. Bitte Liebes, mach‘ Dir
über uns keine Sorgen, das würde mich sehr
kränken. Es geht uns allen sehr gut, der liebe Vati
sieht unberufen sehr gut aus, dank der liebevollen
Pflege seiner guten Frau. Bertl wie immer
elegant, und ich bin – noch immer derselbe [sic!].
Ich glaube, ich werde Dir damit eine große Freude
bereiten, wenn ich Dir berichte, daß die liebe Bertl
zu Dir kommt. Das wird ein Hurra (!!) sein!
Wir werden ja so glücklich sein, wenn Du
nicht so allein sein wirst.

Mein liebes, kleines Mäderl, ich komme erst
später zu Dir, ich kann doch Vati nicht allein
lassen, es möchte ihm dann zu lange nach

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[Seite IV.]

seinen Kindern sein – und ich glaube, ich
handle in Deinem Sinne. Aber ich komme
schon auf jeden Fall, nur Geduld.
Die lieben Eltern haben überall Deinen süßen
Brief vorgelesen, so stolz sind sie auf Dich!
Kannst Dich noch auf Onkel Gustl Dr.
erinnern? Der sagte „Prachtkerl“ auf Dich.
Recht hat er gehabt! Und nun küsse ich
Dich 10.0000.000 x4 und bitte Dich und flehe
Dich an, plag‘ Dich nicht, schone Dich.
Und nun, liebes Schwesterl, schreib womöglich recht bald. Nochmals 1.000 heiße Küsse

Deine Dich ewig‐liebende Putsi.

Meine liebste Marianne! Du wirst gewiss nicht wissen, welch
junger Herr Dir heute schreibt. Ich stelle mich Dir optisch vor:
nämlich bin ich Dein neuer Cousin Heinz. Ich habe schon so
viel Schönes und besonders Gutes von Dir gehört und werde vielleicht
auch einmal Gelegenheit haben, Dich persönlich kennen zu lernen,
was mich besonders freuen wird. Mit Deinem lieben, guten Vati,
meinem neuen Onkel Hugo, musiziere ich fleissig und habe ich in
ihm einen guten, verständigen Freund gefunden. Wir alle haben
ihn sehr gerne und möchten wir ihn nicht gerne verlieren, aber
zu Dir lassen wir ihn mit unserer lieben Tante Fritzi. Und nun sei von
mir und meiner lieben Mutter herzlich gegrüsst und „geküsst“. Dein Heinz.


Es wird mich besonders freuen, wenn Du auch ein
paar Worte an mich richten wirst.

 

Transcription by Manuel Swatek

Footnotes

1. Diminutive for Katzen: cats

2. Excerpt from „Faust I“ by Johann Wolfgang von Goethe

3. Käferl diminutive for Käfer: beetle

4. Mal: times