German Transcription: March 23 - Early May, 1939

 

 

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Fortsetzung./.

freilich ist die Zukunft besonders mit schwarzen, undurchdringlichen Tüchern verhängt und kann man nichts Rechtes ins Auge fassen, aber diese edle und vornehme Frau, diese gute Jüdin und Zionistin, diese fleißige, tüchtige hervorragende Hausfrau, bewundert in der Koch- und Bankkunst sowohl wie in Weißnäherei, diese seltene Wohltäterin und fürsorgliches Mutterherz, diese Frau mit ihrer Gemütlichkeit und ihrem süßen Frohmut, dieses Juwel möchte ich nicht mehr verlieren. Schade, daß du nicht einen Blick werfen kannst in diese prachtvolle Wohnung, in diese herrliche Küche, in dieses moderne fabelhaft eingerichtete Badezimmer, auf diesen Balkon im ersten Stock mit dem Ausblick auf einen der schönsten Parkanlagen Brünns, dem Winterhollerplatz oder wie es früher hieß, der Platz des 28ten Oktober, (dem Gründungstage der Republik), in diesen Wäschekasten, der doch immer ein Spiegelbild der guten Wirtin ist, wenn du also hier bei uns sein könntest, in unserer Mitte, behütet von dieser vornehmen und recht klugen Dame, da würde dir sicher alles hier gut gefallen und du würdest wahrscheinlich nur ungern von deiner neuen Mutti und deinem treuen Vati fortwollen zurück, wohin es dich auch mächtig zieht. —



Es wäre aber das Bild dieser meiner geliebten Freundin nicht vollkommen, wenn ich nicht noch erwähnte, daß diese tapfere Frau nach dem Tode ihres heißgeliebten und vergötterten Mannes (vor 3 Jahren) trotz der verzweifelten seelischen Verfassung das Geschäft (Leder??artikel für Friseure) weiterführte, seine Mädchen in Kost und Quartier nahm und dies alles ohne Dienstmädchen bestritt.



Fürwahr, das ist eine Frau ganz nach den strengsten Anforderungen unserer Groß-Mama entsprechend: “Am Herd und am Pferd.” Wir beide, ich und meine


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brave Zukunftige, denken sehr, sehr oft an dich und intressiert [sic] sich auch diese intelligente Jüdin sehr um deine Briefe und Bilderl. – Viel lieber möchte ich dir diese selten geschmackvollen, äußerst nahrhaften und reichlichen Mahlzeiten vom ganzen Herzen vergönnen: Aber das sind ja alles nur Wunschträume. Einmal dachte ich mir es im Halbschlummer so lebhaft aus, das wir gerade unter der “Chuppa” stehen, mit uns Tante Gisa und der fesche Großpapa, dann zwei entzückende Kranzeljungfern mit den beiden so intressanten [sic] und kraftstrotzenden Neffen meiner Braut als Kranzelherren, eine unüberseh[liche] Schaar [sic] von Gästen und Verwandten – Frau Fränkel gehört nämlich einer der besten Familie [sic] dieser Stadt an – und auf einmal stürmst du noch im Reisekleid, herein, umarmst uns alle, küßt uns: “Und in den Arm[en] liegen sich beide, und weinen vor Lust und vor Freude.”......

Alles aber wäre recht schön, wenn die Zeiten nicht so traurig für uns Juden wären. Wir werden wahrscheinlich bald das Pinkerl [?] schnüren müssen und ich glaube, wir werden eher bei dir sein, als du bei uns. Um so mehr, daß Frau Fritzi nur nach Palästina auswandern möchte. Nur schade, das du uns kein Zertifikat verschaffen kannst. Vielleicht aber kannst du deinen Eltern doch irgendwie behilflich sein. Berate dich, wenn es Zeit und Muße erlauben. Fürwahr mit so einer Heldin von einer echt jüd. Frau brauche ich mich nicht zu fürchten, in die Welt hienauszuziehen [sic]. Diese fleißige und geschickte Frau würde euch allen dort die Wäsche und sonst alles so kunstgerecht flicken und herrichten, daß ihr eure Freude davon hättet. – Das habe ich dir nämlich vergessen zu schreiben, daß meine Braut während des Kochens, nach dem Aufräumen – und bei ihr blinkt und blitzt nur alles so (a là Stella) – auf der Maschine Reparaturen macht und so nebenbei ganz schön verdient. – Und obwohl sie sich so plagt, verk[.....] sie mich fast den ganzen Tag um 4 kč, also direkt umsonst. – Nachmittag [sic] ge[hen] wir gemeinsam Kunden besuchen, vormittags besorge ich manchmal Komiss[....] [Kommissionen??] und abends nach dem gut mundenden Nachtmahl gehen wir zur Lußinka. Soeben frisiert Berta unsere gnädige Frau und macht ihr immer eine fabelha[fte] Ballfrisur. Aber sie ist auch dieser bescheidenen Wohltäterin sehr zu dan[ken?] verpflichtet, denn sie hat ihr schon sehr viele und vornehme Kundeschaften rekomandiert. [sic] – So verdient also Bertuschka schon ganz schön und zahlt sel[bst] ganz allein das teuere Quartier und Kleider, Schuhe, e.t.c. [sic]

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Nur ab un zu erhält sie von mir Taschengeld und bei unvorhergesehenen Ausgaben entsprechenden Zuschuß – Aber sonst ist sie recht fleißig und besonders seitdem ihr unsere liebe kluge Frau Fränkel einen modernen Föhn um billiges Geld noch dazu auf Raten verschafft hat, komt sie schon zu besseren Damen, welche sie Wasserwellen1 legen lassen. Auch sonst ist sie zur Lußinka sehr nett, frisiert selber jeden Sonntag, so daß unser „Kleinstes“ wie eine junge Prinzessin aussieht, so blendend-schön ist sie in so einer geschmackvollen Mädchenfrisur. – Auch hat sie sich bereits für ihr selbstverdientes Geld sehr schicke Kleiderl angeschafft. Aber Lußinka ist auch sehr gut zu Bertherl und gibt ihr oft von dem sauer verdientem Gelde.

[Nadja Rivlin Nadja Rivlin]

Von mir kann ich nun soviel sagen, daß es mir recht gut geht und daß ich sehr glücklich bin. Ich hoffe, es auch weiter zu bleiben, wenn nicht irgend eine unangenehme Veränderung meines Zustandes eintritt, was man leider erwarten kann. Brünn ist nämlich seit einer Woche eine “deutsche” Stadt geworden, laut Dekret des Reichsprotektors, Freiherrn von Neurath, und was das für uns Juden zu bedeuten hat, das brau[che] ich dir doch nicht zu sagen. Was nützt mir mein einstiges Heldentum, daß ich mich freiwillig in die vorderste Front einreihen ließ, obwohl ich als Mediziner im 5ten Semester ohne weiteres Spitaldienste hätte versuchen können. Was hilft mir meine Tapferkeit, daß ich vielleicht der einzige in unserem Zuge, obwohl umziegelt, bis zum letzten Augenblicke den heranrückenden Feind niederknallte; wer fragt heute, daß ich so viel furchtbaren Schmerzen hatte infolge meiner Bauchoperation, der ich mich kriegshalber unterzog. Und da die Wunde im Felde wieder sehr viel zu leiden hatte, so mußte ich heute sogar wieder ins Spital, denn ich will vollkommen gesund zu dir, mein geliebtes Kind.

Wer anerkennt das heute, daß ich ein treuer Kamerad und hilfsbereiter Freund allen meinen einstigen Comilitonen war, ohne Unterschied der Rasse

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und der Religion, und jedem, der sich an mich um Hilfe wandte, zur Heimreise aus der turkestanischen Hölle verhalf. – Ein Vermögen hat mich meine Liebe und Treue zu meinen Waffenbrüdern gekostet. – Und nur, weil ich mein einstiges Heimatland Österreich so innig liebe, verzichtete ich auf alle möglichen Vorteile in Rußland, und kehrte als armer Mann mit drei kleinen Kindern in die Heimat zurück. Ich habe im Felde und in der schweren Gefangenschaft unser Panir [sic] hochgehalten und immer patriotisch und unpolitisch auf irregeführte Kameraden einzuwirken mich bemüht. Und heute werde ich, nur weil ich Jude bin, mit allen möglichen Lumpen, Saujuden und Drückebergern in einen Sack geworfen...... Immer wieder kommen mir bei diesen traurigen Betrachtungen die Worte Trumpeldors, dieses herrlichen jüdisch-russischen Helden, in den Sinn: “Rascher, raffe dich auf, du armes und doch so großes Volk!” “Genug der Peine, der Gnaden, genug der Angste, genug der Knechtung! Auf zur Freiheit![”]———

Ich ertrage unser Jüdisches Schicksal mit Würde und schicksalergeben. Während ich hier im Salon schreibe, rattern mächtige Flugzeuge über den Dächern und üben, sich vorbereitend zu künftigen “Heldentäten”... Ja, die Lage ist wieder einmal sehr gespannt und hat verteufelte Ähnlichkeit mit dem Monat Juli des Jahres 1914 – in jeder Hinsicht. Ich aber glaube, daß Hitler mit “Hilfe Chamberlains” Danzig ohne Schuß nehmen wird. Wäre ich nicht Jude, ich müßte diesen einfachen Mann bewundern.....

Mit Wien bin ich in reger Korrespondenz, denn diese ungelücklichen Eltern und unsere goldigste Tante und Schwester Gisa sind ja ganz glücklich, wenn sie von uns Lebenszeichen haben und besonders von unserem “kleinen Mausele”, welches nämlich an jedem meiner ausführlichen Briefe beteiligt. Berta ist viel schreibfauler und denkt wenig, scheinbar wenig an das Elend hier und in Wien. Aber ich würde ihr bitteres Unrecht tun, wenn ich damit sagen wollte, daß sie nicht mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele an Großeltern, Tanten und besonders an ihren Schwestern hängt. Sei versichert, mein Goldkäserl, sie liebt auch dich innig und treu – nur ist sie “ein bischen” [sic] schreibfaul, weil eben zu lebens- und liebeshungrig.....

Bis zum nächsten Briefe viele tausende treue Grüße,

dein Pappi Hugo

[side of p. 4]
Liebes Giserl, lese mit Interess die an Ihren li[eben] Vati gesendeten Zeilen und hoffe dass [sic] Sie nichts dagegen haben.
Herzlichst, Fritzi Fränkel

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Transcribed by Brian Middleton

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