(View English Translation)
|
Mein teures Kind! Brno 17. VIII. 193[9?]
Die Seele war ruhig, nur der Kopf wollte es nicht
fassen, daß wir alle solange ohne Nachricht von dir, mein
kleines, tapferes Mädel. Nun ist endlich ein Brief hier,
noch dazu ein recht gelungener und sehr herzlich. Deine Goldtante Gisa
hat mir nämlich denselben eingesandt und könntest jedesmal auch
die Briefe an mich oder an deine hübschen Schwesterln[1] nach Wien senden
und so das teure Porto er-sparen. Von unserer „Familienperle“ erhalte
ich sowieso zweimal wöchentlich ausführlichen Bericht und bei dieser Gelegenheit
sendet sie mir gleichzeitig deine Briefe mit. Oder auch
umgekehrt: du schickst mir die für Wien bestimmten Zeilen und ich leite selbe
weiter. Also diesmal sind wir schon zwei, welche über deine Ideale,
Wünsche, Träume und Hoffnungen entzückt sind, nämlich ich und
meine Braut Fritzi, deine zukünftige Mama. Dienstag, den 15. dieses
hätten wir uns ver-loben sollen, infolge eines sehr bedauerlichen
„Unfalles“ (jüd. Schicksal), von dem ich mich dank der liebenswürdigsten
Pflege meiner edlen und aufopferungsbereiten Braut so ziemlich
erholt habe, mußte ich die Verlobung auf den kommenden Sonntag
verlegen. Also bitte auch, wenn auch später, im Geiste mit deinem
Auserwählten mich hochleben zu lassen. Meine Braut, eine Dame
der vornehmsten Gesellschaft Brünns, aus einem der angesehensten
und frommsten Häuser hier (Großeltern war Landesrabbiner
Mährens) drängt auch auf baldige Hochzeit, wogegen ich nichts
einzuwenden habe. Wir haben uns sehr lieb und ist mir in jeder
Hinsicht zu gratulieren. Denn vor allem habt ihr, meine innigst
geliebten Kinder, wieder eine Mutter auf Erden. Ich habe lange
gewartet und geprüft, bevor ich eine würdige Nachfolgerin unserer
in Gott ruhenden Mama gewählt habe.
|
(View English Translation)
|
II.
[Abe]r das eine weiß ich mit ganzer Bestimmtheit: diesen meinen neue[n
H]erzensbund wird meine Natuschka vom Himmel herab segnen, aus
ewiger Liebe zu mir und zu euch, meine süßen Kinderl, da ihr
eine bravere, edlere, tüchtigere, herzlichere Mamele[2] nicht mehr finden könntet.
Wir sind ja erst einige Monate bekannt, diese vielbegehrte, nicht arme Witwe
hat Hofräte, hohe und höchste Gerichtsfunktionäre, hat herrliche Versorgungspartieen
ausgeschlagen und ihr Herz mir und meiner ganzen Familie selbstlos
geschenkt. Welcher Idealismus und welch seltener Mut gehört in
unseren heutigen schweren Tagen dazu, dem Zuge seines Herzens zu
folgen und ein mühevolles Leben, ein sorgenvolles Dasein einem Leben
ohne Mühe und Sorge vorzuziehen. Obwohl wir noch gar nicht verheiratet
sind, mußte ich schon seit dem 1. August in ihre Prachtwohnung übersiedeln
und essen. Wir wohnen in dem vornehmsten Viertel Brünns und könnte
hier sowohl ein Gelehrter wie auch Künstler in dieser unserer gediegenen
und äußerst wohltuend geschmackvollen Tuskulum[3] sich glücklich fühlen.
Vom Gassenbalkon aus überblickst du die herrlichen Blumen und
Baumanlagen des angrenzenden „Winterhollerplatzes“ und vom
Hofbalkon sowohl wie von der geräumig hellen Küche sowie vom schönen
Mädchenzimmer aus genießen wir die Aussicht in den herrschaftlichen
Hausgarten. Vom modernst eingerichteten Badezimmer habe ich dir
ja schon einmal berichtet, sowie vom Salon, in welchem sehr oft mein
„Neffe“ Heinzi, der Verehrer Lußinkas, gottvoll musiziert. Dieser
reizende und gottbegnadete Künstler und Musiker per eccellence
kommt übrigens bald ins Jerusalemer Konservatorium (Freiplatz).
Selbstverständlich daß er dich aufsuchen wird und gute Haferlschuhe
und dergleichen mitbringen wird. Noch ein sehr fescher „Kousin“[4] wartet
ungeduldig auf die bereits für den 15. vorigen Monats bestimmte
Abreise nach Palästina. Es wäre aber auch für alle die vielen Juden
hier ein großes Glück, fast möchte ich sagen lebenswichtig, wenn der
große Transport nach Erez schon abgehen würde. Alles will ja fort von hier
nach Erez und am meisten ich mit meiner Fritzi und beiden goldigen
Fratzeln[5]. Mit solchen „Weibserln“[6] kann man wohl in die ganze
Welt, denn das sind gesunde, fesche, starke, fleißige und tüchtige […].
|
(View English Translation)
|
III.
Wir sind noch gar nicht verlobt und schon sorgt sich
meine Fritzi um Berthuschka wie eine wahre Mutter.
Da die Zeiten jetzt nicht die rosigsten sind, auch was das
Einkommen der hiesigen Juden betrifft, und die Gemeinde
sehr knapp an Mittel ist, deshalb auch der Mittagstisch noch elender als früher,
hat meine Zukünftige der feschen Bertuschka einen leichten Posten als
Kinderfräulein (probeweise) bei recht netten Leuten verschafft. Dort hat sie
Kost und Quartier und da die junge Frau auch Schneiderin ist, so
dürfte unsere „Modedame“ auch auf ihre Rechnung kommen.
Schon vor 14 Tagen wollte meine mütterlich empfindende Zukünftige
Bertuschka zu sich nehmen, damit sie das teure Quariergeld erspart,
aber da hat Berta diesen Blödsinn und diese Infamie niedergeschrieben,
und ich ahnungslos diese Zeilen offen liegen lassen. Aber meine
feine und edle Fritzi hat es l[äng]st verschmerzt, und sind wir beide
glücklich, daß Berthuschka so gut aufgehoben ist. Meine Braut hat ihr
den herrlichen neuen Föhn geschenkt (Trockenvorrichtung) und
50 Kronen als Anzahlung auf einen prachtvollen, hellgrauen Herbst-
und Frühjahrspaletot[7] aus feinster Schafwolle. Auch hat Bertuschka bei ihren
täglichen Spazierfahrten mit dem 6 Monate alten Baby genügend
Zeit, sich im Englischen zu vervollständigen. Auch wird sie, da selbst
verdient, den Wert des Geldes viel besser zu schätzen wissen als
bisher. Auch kann sie trotz des Postens einmal wöchentlich frisieren
oder maniküren gehen. Meine zukünftige Frau gab der Bertuschka
den Rat, zunächst unverbindlich 14 Tage Probe zu gehen, wenn
auch die Anmeldung bei Polizei und Krankenkasse sofort erfolgt.
So wird sich mein kleines „Fuchsi“ endlich ordentlich ausstatten können,
um dann als „Dame grandezza“
die Fahrt zu dir, mein goldiges Mauserle[8], getrost antreten zu können.
|
(View English Translation)
|
IV.
Lußinka hofft im November abgeholt zu werden, und wir beide, die
wir doch bald ein Paar sein werden, verlassen uns diesbezüglich
auf dich. Wie wunderbar wäre es, wenn wir auch im November
mitfahren könnten! Weiß aber Gott, was bis dahin noch alles eintritt…
Du, mein Teuerstes auf Erden, sei klug und trachte dich gesund zu
erhalten. Bemühe dich würdig zu sein ein Sproß unserer großen,
allseits geschätzten und echt jüdischen Makkabäerfamilie.
Bleibe immer dir und deinem goldigsten Herzerl[9] treu und
schätze dir die tiefe Verbundenheit und selbstlose Wegbereitschaft
eines tapferen Zionsstreiters. Gott gebe es, daß du so glücklich
und seelenheiter wärest, wie ich es bin und immer bleiben werde.
Denn auch meine holde Braut ist eine echte Zionstochter, welche
in ihrem richtig jüdischen Empfinden nur nach Erez zu euch beiden tendiert.
Sehr fein wäre es, wenn unsere „Mutti-Tante“ auch zu euch
kommen könnte. Das ist doch ein wahrer Engel und verdient
unsere Liebe und unverbrüchliche Treue ganz und gar. Dabei ist sie
so eine edle uns selten fromme [Jü]din und Nationaljüdin. Was
ja kein Wunder, wenn man so patriarchalische Eltern und so einen
begeisterten und unentwegten Zionsstreiter als Bruder hat, wie den
Lieblingsonkel Karlo! Kannst dir denken, welch lebhafter
Gedankenaustausch zwischen beiden stattfindet und sende ich dir auch eine
kleine Probe davon: Es ist ja geradezu bewundernswerth, diese
göttliche Geschwisterliebe, dieser hohe sittliche Ernst, diese göttliche Kraft und Selbstüberwindung, diese hohe Liebe zu allen unseren
Familienangehörigen, in welcher sie über sich selbst hinauswächst und
mit welch flammender Liebe und selbstloser Treue sie all die
Herzen all ihrer Treuen in weitester Ferne erwärmt und aufrichtet,
sie, die ja selbst des Trostes und balsamischer Liebe so sehr bedürftig…
Und wie stolz und glücklich bin ich, daß du, mein tapferes Kind,
nicht nur ihren Namen trägst, sondern auch der Abglanz
ihrer segenspendenden Herzenssonne bist.
Für diesmal schließe ich und küsse dich viele, viele Kilometer ~~~~
Dein treuer Papsi Hugo.
|